Traditionelle chinesische Qin-Musik: Transkription und Verständnis
Peo Oertli-Kassim, Zürich
INHALT
1 Das Instrument ...
2 Chinesische Skalen und Notationen ...
3 Der Charakter der Qin-Musik und ihre Tabulatur ...
4 Transkription/Notation der Qin-Musik ...
Bibliographie ...
Diskographie ...
Index ...
[Bild: Qin-Spieler - aus: Buchner, A.: Musikinstrumente der Völker]
DAS INSTRUMENT
*
Das Qin (1) ist im Prinzip ein (hohler) Schallkörper mit 7 aufgespannten Saiten.
Stege sind keine vorhanden, jedoch 13 Marken entlang der vom Spieler am weitesten entfernten
tiefsten oder 1. Saite (S1).
(l) Ausgesprochen etwa "Tschin", "tjin".
Es wird hier durchgehend die neue von Beijing (Peking) 1979 herausgegebene Umschrift
verwendet.
In der Literatur kommen die verschiedensten Umschriften vor:
Kin, K'in, Tchin, Tschin, Chyn, Ch'in, oder auch Ku-ch'in, Gu-kin, Ku-tschchin etc.
Uebersetzungen für Qin sind: Laute, Zither, Psalterium, Wölbbrettzither etc.
Die durchschnittliche Länge des Instruments ist etwa 93 cm.
Entsprechend der chinesischen Schrift, die von oben nach unten und von rechts nach links
geschrieben wird, erfolgte die Nummerierung der Saiten von "vorne nach hinten",
die Nummernfolge der Marken von rechts nach links.
*
Das Qin gehört zu den ältesten Saiteninstrumenten Chinas. Es ist wenigstens 3 (möglicherweise
sogar 4 1/2) Tausend Jahre alt und hat sich seit rund 2000 Jahren praktisch nicht mehr verändert.
Es gilt in China als das edelste Instrument und wurde auch dementsprechend hergestellt,
behandelt und gespielt:
Es besteht aus ganz speziellem und möglichst altem Holz, auf das schliesslich verschiedene
Lackschichten aufgetragen wurden - je älter das Instrument, desto besser soll sein Klang sein -
die 13 Marken waren Gold- und Perlmuttereinlagen (auch Halbedelsteine, Elfenbein), die Saiten
wurden je aus einer überlieferten Anzahl von Seidenfäden gedreht (heute z.T. durch Nylonsaiten
ersetzt ...).
Qins waren vielfach reich verziert, trugen auf der Unterseite Gedichte, den Namen des Qin,
den Namen des Besitzers usw., und ihr Gebrauch war immer nur Gelehrten und hohen Beamten
vorbehalten. Für sie wurde das Qin während einiger Dynastien ein eigentliches Statussymbol
und ein unentbehrlicher Begleiter.
Seine Musik wurde durch den Konfuzianismus (sozial), den Taoismus (religiös), den Buddhismus
(psychologisch) und nicht zuletzt auch durch die seit dem Altertum überlieferte ureigene
chinesische kosmologische Weltanschauung (yin und yang etc.) geprägt und getreu weitergegeben.
Das Instrument wiederspiegelt selbst den Kosmos (gewöbte Decke: Himmel, flacher Boden: Erde) -
und jedes Mass, jeder Teil des Qin hat seinen kosmischen Bezug. Jeder Teil hat zudem seinen
Namen, welcher auf einen alten Mythos zurückgeht: danach soll das Qin die Verkörperung des
heiligen Drachens (dem Geist des Wassers, der Wolken und des Regens) und des Phoenix (dem
Himmels-, Sonnen- und Feuervogel), den mystischen Trägern von Lebenskraft und Fruchtbarkeit sein.
[Abbildung mit Namen der Teile des Qin]
[links:]
1) Name eines chinesischen Berges,der Erhabenheit und Unsterblichkeit symbolisiert
2) Schulter des Unsterblichen
3) Flügel des Phoenix
4) Taille
5) Zahnfleisch des Drachens
[rechts:]
6) Gänsezunge
7) innere Stütze: rund wie der Himmel
8) innere Stütze: entsprechend dem Glauben, dass die Erde quadratisch sei.
9) Drachenteich
10) Gänsefüsse
11) Phoenix-Weiher
12) versengtes Ende (Schwanz, Schweif)
*
Die 13 Marken teilen die Saiten von der Mitte ausgehend (Marke 7) nach links und rechts in
jeweils gleiche Abschnitte:
Saitenteilungs- und Abschnittverhältnisse in /120steln:
13 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1
. . . . . . . . . . . . .
120 105 100 96 90 80 72 60 48 40 30 24 20 15 0
15 5 4 6 10 8 12 12 8 10 6 4 5 15
. . . . . . . . . . . . .
8/8 7/8 3/4 1/2 1/4 1/8
. . . . . . . .
6/6 5/6 2/3 1/3 1/6
. . . .
5/5 4/5 3/5 2/5 1/5
Das ergibt beim leichten Berühren (Flageolett) der Saiten bei den 13 Marken - von der jeweiligen
Saitenstimmung ausgehend - prinzipiell folgende relative Tonhöhen resp. Intervalle:
Harmonische Töne:
[Abbildung harmonische Töne]
Auf jeder Saite sind somit 6* verschiedene harmonische Töne spielbar, nämlich - die jeweilige
Stimmung der Saite als Grundton angenommen:
1 (auf drei Stufen, also *3 Töne): 1x in der 1., 2x in der 2. und 2x in der 3. Oktave,
3 (auf einer Stufe, also *1 Ton) : 4x in der 2. Oktave - und
5 (auf zwei Stufen, also *2 Töne): 2x in der 1. und 2x in der 2. Oktave.
Wird die Saite bei den 13 Marken jedoch niedergedrückt, ergibt sich folgendes Bild:
Gegriffene Töne:
[Abbildung gegriffene Töne]
Auf jeder Saite können so also (mit der offenen Saite) 14 Töne über drei Oktaven gespielt
werden (wobei in der 2. und 3. Oktave alle andern Töne ausser 1, 3 und 5 beim Spielen auf
jeweils andern Saiten gesucht werden müssen). Prinzipiell können aber 3 Oktaven kontinuierlich
gespielt werden.
Es kommt hinzu, dass jeder der verschieden grossen Abschnitte zwischen den Marken jeweils noch
in 10 Unterabschnitte geteilt ist, die sich der Spieler vorstellen muss.
*
Das Qin hat 7 Saiten, von denen die Namen der ersten 5 den Namen der 5 chinesischen Haupttöne
entsprechen. Mit ihnen symbolisieren sie die fünf Elemente (Erde, Metall, Holz, Feuer, Wasser)
und repräsentieren nach der sog. Doktrin der Affinität von Menschen und Dingen (im 11.Jhdt.,
Song-Dynastie entstanden):
1 : gong (Palast) - den Prinzen oder Kaiser,
2 : shang (beraten) - den Minister,
3 : jiao (Horn) - das Volk,
4 : zhi (bezeugen) - die öffentliche Arbeit,
5 : yu (FIügel) - die Dinge im Allgemeinen.
Die Saiten 6 (wen) und 7 (wu) stehen für die Kaiser, welche je der ursprünglich 5-saitigen
Qin (1) eine Saite hinzufügten. Wen und wu symbolisieren das Verhältnis zwischen dem Prinzen
und dem Minister.
(1) Amiot 1779 S.55 zitiert allerdings einen Prinzen, der in seinem 1596 erschienenen Werk
glaubhaft darlegte, dass das Qin schon immer 7 Saiten gehabt hätte, eine der 2 verschiedenen
Stimmungsarten hätte aber nur die 5 Haupttöne (2 in der Oktave) verwendet, und wen und wu seien
nur die neu hinzugefügten Töne der 2. Stimmung. Die späteren Autoren scheinen diese
Argumentation gar nicht zu kennen, obwohl einiges für sie spricht.
Die zwei wichtigsten Stimmungsarten der Qin waren und sind:
1. 5 - 6 - 1 - 2 - 3 - 5 - 6 und
2. 1 - 2 - 3 - 5 - 6 - 1 - 2
Die zweite Stimmung ist im direkten Vergleich um eine Quarte höher. Sie verwendete den Grundton
(gong) der 5 chinesischen Haupttöne auf der ersten Saite, die zweite den Grundton auf der
dritten Saite - zwei verschiedene Ursprünge der Qin-Stimmung, die auf das 7. bzw. das 2.
Jh.v.Chr. zurückgehen.
Im Verlauf der späteren Geschichte setzte sich v.a. die erste Stimmung durch, der Ursprung ihrer
Konstruktion geriet jedoch in Vergessenheit: während 14. Jahrhunderten wurde nicht mehr über die
Stimmung der Qin theoretisiert, sie wurde einfach vom Lehrer übernommen. Beginnend mit der
musiktheoretisierenden Song-Dynastie (1130-1200) stiftete die ursprüngliche 5-6-1-2-3-5-6-Stimmung mit
den Intervallen 2-3b-2-2-3b-2 dann einige Verwirrung, da man dachte, gong müsse immer auf die
erste Saite fallen:
Die 5 Haupttöne (welche relative Töne darstellen) haben aber die feste Intervallfolge 2-2-3b-2,
was mit der Intervallfolge der 5 ersten Töne der 5-6-1-2-3-5-6-Stimmung 2-3b-2-2 nicht
übereinstimmt.
Nehmen wir bei dieser Intervallfolge die erste Saite als gong an, so wären die relativen
Tonhöhen also 1-2-4-5-6, und 4 war in der Musikpraxis einfach ein falscher Ton. Es gibt denn
auch einige Kompositionen, welche die Angaben enthalten, die offene 3. Saite sei zu vermeiden,
und viele Qin-Spieler setzten die Stimmung der 3. Saite einfach um einen Halbton herunter, womit
sie im Grunde genommen (Intervallfolge) wieder die 2. Stimmung 1-2-3-5-6-1-2 verwendeten. (1)
(1) Auf die hier z.T. miteinbezogene Beziehung zwischen der 5-Ton-Skala und der chinesischen
chromatischen Skala komme ich noch zu sprechen.
Erst Liang (1972) durchschaute diese Verwirrung, in der übrigen Literatur ist dieses Problem
nirgends gelöst, d.h. es wird nicht einmal diskutiert.
Liang führt weitere Gründe auf, welche zu Konfusion beitrugen:
- Die Wort-Tabulatur des Qin gab keine Angaben über die Stimmung des Instruments. Die Musiker
spielten und dachten eher nur von Ton zu Ton als von der Erwägung der Stimmung oder gar der
Tonart-Stuktur her.
- Die Namen der ersten 5 Saiten hatten die gleichen Namen wie die 5 Haupttöne. Wenn in der
5-6-1-2-3-5-6-Stimmung der Grundton auf die erste Saite kam, verschob sich die Intervallfolge
wie oben beschrieben: der 3. Ton war um einen Halbton zu hoch; er behielt aber dennoch seinen
Namen - und der Name der 3. Saite war diesem gleich - obwohl er musikalisch keine Bedeutung mehr
hatte.
1. 2. 3.
5-6-1-2-3-5-6- 1-2-3-5-6-1-2 Verwirrung
Stimmung Stimmung "absolute"
5-6-1-2-3-5-6-
Stimmung
[Abbildung: Stimmungen im Vergleich]
Ich will hier nicht noch den Vergleich mit den westlichen absoluten Tönen hineinbringen, wie dies
mit einer einzigen Ausnahme (Kornfeld 1955) in der gesamten Literatur geschieht, jedoch nur
geeignet ist, die kaum gelöste Verwirrung wieder rückgängig zu machen.
Ich versuche deshalb eine prinzipielle Darstellung:
Wenn wir nun alle 7 Saiten in Betracht ziehen, ergeben sich für die harmonischen Töne bezw. für
die offenen und gegriffenen Töne die folgenden generellen Beziehungen:
[Abbildung: Harmonische Töne]
[Abbildung: Gegriffene Töne]
[Abbildung: Harm. und gegr. Töne im Vergleich nebeneinander auf 2 gegenüberliegenden Seiten]
[Abbildung: Harm. und gegr. Töne übereinander]
[ev. neue Abbildung: welche Töne können sowohl harmonische wie gegriffene sein?]
[Bilder: Handpositionen und Stimmen: Anmerkungen aus dem chin. ins Deutsche übersetzen!]